Der Tüftler aus Thülen
Anton Schlüter (1867–1949) gründete ein Traktorenwerk in Bayern.
Aus Westfalen stammt gleich eine ganze Reihe bekannter Landmaschinenerfinder und -ingenieure. Nicht wenige haben eigene Firmen gegründet und mit Erfolg aufgebaut. Doch dieser Erfolg fand auffallend häufig außerhalb Westfalens statt. In Bayern wurde beispielsweise Hugo Güldner erfolgreich. Die zweite Gründung eines Westfalen in Bayern, genauer in Freising bei München, war das 1899 gegründete Landtechnikunternehmen Schlüter. Es existiert heute nicht mehr, die Werkstore des Unternehmens haben sich 1993 für immer geschlossen. Zuvor aber war es viele Jahrzehnte lang vor allem durch seine verlässlichen Motoren und seine robusten, überauskräftigen Großschlepper weit über Deutschland hinaus bekannt.
Schwerer Schicksalsschlag
Der Gründer des bayerischen Traktorenherstellers stammte aus Westfalen, genauer aus Thülen bei Brilon. Er hieß Anton Schlüter und wurde dort am 13. Juni 1867 geboren. Gelegentlich ist zu hören, Schlüter sei auf einem Bauernhof aufgewachsen und als Hoferbe vorgesehen gewesen. Doch das stimmt nicht. Anton Schlüter verbrachte lediglich frühe Kindheitsjahre auf dem elterlichen Gutnamens Keffelke bei Thülen. Seine Eltern waren Johann Schlüter und Theresia,geb. Gerwig. Die beiden hatten sich im August 1855 vermählt .Aus dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor. Als Anton Schlüter acht Jahre alt war, starben seine beiden Eltern. Über diesen tiefen Einschnitt in der Familiengeschichte ist Näheres nicht bekannt. Sicher ist, dass Anton Schlüter als achtjähriges Pflegekind von einem Färber in Brilon aufgenommen worden ist. In der Stadt besuchte er die Volksschule. Zeitweilig soll er erwogen haben, Pfarrer zu werden. Doch seine Leidenschaft für die Technik wies ihm einen anderen Weg. Er begann eine Mechanikerlehre und erlernte das Handwerk des Bau und Kunstschlossers. Als fertiger Geselle ging er auf die Walz und landete in Freising bei München. Dort heuerte er in einer Maschinenfabrik an. Seine erste große Liebe fällt ebenfalls in diese Zeit: Susanne Samer hieß die junge Frau, von der kaum mehr bekannt ist als ihr Name. Die beiden heirateten, 1888 kam der erste Sohn zur Welt, der wie sein Vater Anton hieß. Der junge Vater, wenige Monate zuvor 21 Jahre alt geworden, befand sich in sehr unsicheren Verhältnissen. Mehrmals wechselte er seine Arbeitsstelle. Seine Suche führte ihn zurück in den Nordwesten, nach Köln, wo er für ein Brückenbauunternehmen den Bau eines Mörtelwerks organisierte. Er kaufte eine gebrauchte Dampflokomobile und Loren, ließ Schienen verlegen und transportierte auf diese Weise Stein und Kies ins Werk.
Neustart in Bayern
Sein Auftraggeber ging allerdings in Konkurs, so dass sich der Traum von der eigenen Firma ins Nichts verflüchtigte. Schlüters Taschen waren nach dem Konkurs fast leer.Geblieben war ihm lediglich die Lokomobile. Schlüter erwarb einen Dreschkasten und fuhr mit diesem Gespann, unterstützt von einem Gehilfen, über Land, um sich auf diese Weise Geld zu verdienen. Ende der 1890er Jahre zog es die junge Familie zurück nach Bayern. In München ließen sich die Schlüters nieder. Anton begann, in einer Hinterhofwerkstatt Druckmaschinen und Brauereigeräte zu reparieren. Seine Lokomobile tauschte Schlüter gegen 20 Gasmotoren, die er kurz darauf umbaute–es war der erste Schritt auf dem langen Weg zum „Dieselschlepper und Motorenwerk Schlüter“. Von einem ins Schlingern geratenen sächsischen Motorwerk übernahm Schlüter bald darauf die Fertigung und holte sie nach München. Sein Unternehmen wuchs, denn Motoren wurden gebraucht– vor allem, wenn sie reibungslos funktionierten und robust gebaut waren. Die Qualität der Schlüter Motoren sprach sich herum. Binnen weniger Jahre explodierte geradezu die Nachfrage. So kam es, dass 1908 bereits mehr als 100 Beschäftigte in der Firma arbeiteten, zwei Jahre später sogar doppelt so viele.
Umzug nach Freising
1911 zog Schlüters Werk ins benachbarte Freising um. Dort erst begann der Unternehmer, neben den Motoren auch landwirtschaftliche Geräte und Maschinen herzustellen. Er hatte eine Freisinger Maschinenfabrik erworben, kaufte auch noch eine Eisengießerei hin zu und fand am Südrand der einstigen Domstadt eine 10ha große Fläche, die sich für den Bau eines großzügigen Werkes eignete. Direkt vor den Werkstoren kreuzte sich die Bahnlinie mit einer überregionalen Reichsstraße. In den Kriegsjahren 1915 bis 1917 entstand dort die dritte Fabrik AntonSchlüters, der inzwischen mehr als 600 Mitarbeiter beschäftigte.
Sozialer Weitblick
1917 wurde der gebürtige Westfale zum Königlich-Bayerischen Kommerzienrat ernannt. Damit ehrte der Staat nicht nur den Erfindergeist und die unternehmerisch-zu-packende Art Schlüters, sondern auch seine ungewöhnlich stark ausgeprägte soziale Einstellung. Sie zeigte sich etwa in einer Wohnsiedlung für Werksangehörige, einer Betriebskrankenkasse, die über das damalige Maß hinausging, einer Pensionskasse für langjährige Mitarbeiter sowie einer Werksküche mit Speisesaal. Schlüter ließ außerdem eine Werksschule und eine Lehrwerkstätte einrichten, „über die damals nur wenige bayerische Industriewerke verfügten“, wie die Firma später nicht ohne Stolz notierte. In den ersten drei Jahrzehnten des Unternehmens waren Dieselmotoren das Hauptprodukt. In die Fertigung von Traktoren stieg Anton Schlüter erst 1938 ein, also vergleichsweise spät. Die ersten Traktoren aus dem Freisinger Werk wurden mit gerade einmal 15 PS ausgeliefert. Doch davon wurden nur eine vergleichsweise geringe Stückzahl gebaut. In den Kriegsjahren musste das Unternehmen auf die Produktion von Rüstungsgütern umstellen. Die Landwirtschaft rückte nach hinten, aber immerhin: In den Kriegsjahren konnten noch etwa 600 Holzgastraktoren produziert werden.
Schlüter eins, zwei, drei
Den Aufschwung des Unternehmens in der Nachkriegszeit erlebte der Gründer Anton Schlüter nicht mehr. Er starb am 2. März 1949. Sein gleichnamiger Sohn Anton Schlüter „derZweite“ (1888–1957) trat das Erbe an, starb aber bereits acht Jahren nach dem Tod des Vaters. So wurde der Enkel des Gründers aus dem Sauerland, Anton Schlüter „der Dritte“ (1915–1999) zur prägenden Figur des Unternehmens in den Nachkriegsjahrzehnten.
Autor: Gisbert Strotdrees
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Gisbert Strotdrees und der Redaktion